Was ist dieses Instagram und was macht es mit uns?

Genau diese Zeilen habe ich letztens meiner Freundin geschrieben. Eine Freundin, die genau versteht, was ich derzeit durchmache. Denn sie ist in derselben Phase. Oder zumindest in der selben emotionalen Lage. Es ist eine sehr besondere Freundschaft entstanden, die hauptsächlich natürlich von unserer beider Liebe und Leidenschaft zu dieser einen Band geprägt ist. Wenn wir über unsere Gefühle, unsere Trauer, aber auch über unsere schönen Momente reden, dann sind wir in einer anderen Welt. Umso schöner ist es natürlich, wenn man dann kleine Dinge miteinander feiern kann, die für jeden anderen absolut nicht nachvollziehbar sind. So erging es mir eines Tages auf Arbeit, als mein Handy mir folgendes anzeigte:

Für all jene, die jetzt genauso auf den Bildschirm starren, wie die meisten, denen ich das gezeigt habe: der Instagram-User „talinda320“ ist keine geringere als die Witwe von Chester, Talinda Bennington. Ich finde es immer wieder unfassbar, wie sehr diese sozialen Medien Menschen auf dem gesamten Globus miteinander verbinden können. Ich meine, ich sitze hier in Hamburg vor meinem Handy, sehe ihren Beitrag auf Instagram und antworte einfach so, ohne mir groß Gedanken zu machen. Es war ein Bild von einem Pferd. Talinda (und auch Chester) liebt Pferde und sie hat geschrieben, wie sehr sie entspannen kann und auf dem Rücken eines Pferdes auch einfach mal den Kopf ausschalten kann. Und genau das habe ich bestätigt. Allein die Tatsache, dass sie meinen Kommentar unter den vielen anderen gelesen hat, fand ich schon toll. Das es ihr aber auch gefällt, hat mich richtig gefreut. Manch einer mag sich jetzt vielleicht denken, ich bin komplett bescheuert (würde ich selbst übrigens auch sofort bestätigen 😀 ) aber mal ganz im Ernst? Sind es nicht die kleinen Dinge im Leben, die uns immer wieder erfreuen? Für mich ist es eben so etwas. Es sagt mir, dass sie auch wirklich ihre Kommentare liest und weil ich weiß,  dass sie nicht einfach alles mit einem „Gefällt mir“ markiert, bedeutet es mir noch mehr.

Das Gleiche gilt für Mike. Er hatte letztens auf Twitter in einem Tweet geschrieben, dass wir uns sicher sein können, dass es wirklich von ihm kommt, wenn sein Account etwas liket und er selbst seinen Account betreut. Auch Dave „Phoenix“ ist sehr aktiv auf Twitter und Instagram und kommuniziert mit seinen Fans. All diese Kleinigkeiten zeigen mir, dass sie bei uns sind. Sie haben ihre Fans und Unterstützer nicht aufgegeben und sie wissen es sehr zu schätzen, wie sehr die gesamte LP Family zusammenhält. Das gilt natürlich auch für Talinda. Sie alle wissen es. Wir sind für sie da. Und sie geben das an uns zurück. Selbst wenn es nur durch ein kleines „I like“ ist. Menschen wie ich freuen sich darüber. 🙂

Aber das ist nicht die einzige Erfahrung, die ich mit bekannten Persönlichkeiten machen durfte. Kurz nach Chester’s Tod habe ich einige Fotos auf Instagram gepostet. Daraufhin zeigte mir mein Handy folgendes an:

Tja, auch da war ich natürlich mehr als begeistert. Und wieder die Erläuterung für die meisten von euch: Dead by Sunrise ist das Solo-Projekt von Chester gewesen. Sie haben zusammen ein Album raus gebracht und kannten sich viele Jahre, aus denen eine enge Freundschaft entstanden ist.

Und noch ein Like hat mich vor nicht allzu langer Zeit erfreut. Es kam von einem Vertrauten der Band Avenged Sevenfold – Dan „Dan the Body“ Abell. Er hat eines meiner Bilder gelikt, auf welchem ich mein neuestes Bandshirt zeige (natürlich das A7X-Shirt).

Wenn solche Dinge passieren, erstaunt es mich immer wieder, wie weit unsere Welt doch mittlerweile vernetzt ist. Jeder kann quasi mit jedem in Kontakt treten, egal wie viele Kilometer einen physisch voneinander trennen. Das ist für mich immer wieder faszinierend. Zumal es innerhalb von Minuten geht. Früher hat man Mails geschrieben, doch bis man die alle gelesen und beantwortet hat, dauert es schon mal Stunden, Tage oder gar Wochen. Vor drei Jahren habe ich meine Bachelor-Arbeit über ein ähnliches Thema geschrieben: wie Social Media sich künftig in der Unternehmenswelt durchsetzen werden. Da war mir das Ausmaß jedoch bei weitem noch nicht so bewusst, denn damals habe ich diese Kanäle noch nicht so ernst genommen und erst recht nicht so häufig benutzt wie heute. Mittlerweile gehören sie zu meinem Alltag. Vor allem auf Instagram bin ich täglich, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Es gibt immer wieder neue Fotos und Videos, man ist durch die Insta-Stories live dabei, wenn jemand mit dem Hund spazieren geht oder mit dem Pferd auf einem Turnier unterwegs ist. Und auch ich nutze die Insta-Stories. Mehr schlecht als recht, aber darauf kommt es mir nicht an. Ich mag es, verschiedene und auch zum Teil mir fremde Leute an meinem Leben teilhaben zu lassen. Natürlich teile ich nicht alles und jede Minute, aber besondere Momente oder einfach nur Gedanken schaffen es schon mal in meine Story. Da ich zwei Accounts habe (einen für den Blog und einen privaten), kann ich entscheiden, wer meine Postings und Stories sieht. Poste ich etwas aus der Heimat, dann landet das auf meinem privaten Account. Alles rund um Hamburg, Daiquiri oder Musik landet meistens auf dem Blog-Account, auf dem ich dann auch mit entsprechenden Hashtags arbeite und Personen oder Orte verlinke. So kommt man mit den unterschiedlichsten Personen in Kontakt und lernt immer wieder neue Profile kennen. Das Interaktive ist eben das A und O wovon letztlich alle sozialen Medien leben. Wer täglich etwas postet und recht eintönig postet, der hat viele Follower. Bei mir schwankt die Follower-Anzahl, da meine Posts eben auch unterschiedlich sind. Ich poste nicht nur Pferdebilder oder nur Musikbilder etc. Bei mir ist die Art der Postings bunt gemischt und variiert in meinem Erlebten. War ich in der Stadt unterwegs, gibt es davon Fotos oder Videos. Jeden Mittwoch poste ich einen Beitrag zum „Musik-Mittwoch“. Mal werden diese Postings gut angenommen, mal erhalten sie kaum Zuspruch. Das ist das traurige Leben als Blogger bzw. Instagram-User. Aber wie schon gesagt, mir macht es nichts aus, im Endeffekt erfreue ich mich wohl am meisten selbst an meinen Beiträgen. Denn sie sind mein digitales Tagebuch und erinnern mich am Ende eines Jahres oder Monats an das Erlebte. Ich kann alles Revue passieren lassen und mich daran erinnern, auch wenn ich es aus welchem Grund auch immer schon wieder vergessen habe. Und wenn dann noch so Kleinigkeiten passieren, wie eben die Likes oder Following-Nachrichten von Personen, die mich bewegen oder in irgendeiner Weise besonders berühren, ist das ein sehr angenehmer Zusatz und positiver Beigeschmack.

Nun möchte ich aber von euch wissen: wie ist das bei euch? Hattet ihr auch schon solche „Erlebnisse“? Erzählt mir davon. Ich bin gespannt, welche Kleinigkeiten für euch wichtig sind / waren. 🙂

Die Phasen der Trauer und ihre Bewältigung

Im Laufe des letzten Jahres habe ich wieder einmal auf’s Neue versucht, mit meiner Trauer klar zu kommen. Nachdem ich bereits viele tolle, liebevolle und sehr geliebte Menschen aus meinem Leben verabschieden musste, habe ich letztes Jahr einen Verlust erlitten, mit dem ich nicht gerechnet habe. Es traf mich völlig unerwartet und mit absoluter Härte. Chester Bennington, der Inbegriff meines musikalischen Lebens, die musikalische Liebe meines Lebens, der Soundtrack meines Lebens, ist von dieser Welt gegangen und hat uns einfach zurückgelassen. Er hat mich zurückgelassen und ich war hilflos, gnadenlos mit diesem Verlust überfordert. Gefangen in einem Loch, so schwarz und einsam. Es hat einige Wochen gedauert, bis ich angefangen habe, diese Trauer zu verarbeiten. Und dabei habe ich einige Phasen durchlebt, die ich euch gern genauer erläutern möchte. Denn ich möchte jenen, die noch nicht so weit sind, (und ich kenne einige, die noch lange nicht so weit sind), helfen mit ihrer Trauer umzugehen.

Vorab möchte ich noch etwas anmerken. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus, seine eigene Art und Weise mit Trauer umzugehen. Zudem ist dieser Beitrag auch nicht nur auf den Umgang mit dem Tod projizierbar, sondern auch auf das Nicht-wahr-werden von Wünschen oder Träumen, einem Beziehungsende oder jeglichen anderen Arten der Trauer. Ich möchte diesen Beitrag auf den Tod von Chester Bennington und meine Gedanken, meine Art der Trauerbewältigung beziehen. Es ist weder ein Ratgeber noch ein Hilfsmittel, die Trauer zu überwinden. Vielmehr möchte ich meine Erfahrungen mit euch teilen und versuchen, zu erklären, was mir geholfen hat. Und ich möchte euch zeigen, dass es sich lohnt zu warten und zu kämpfen. Gebt nicht auf. Gebt euch nicht auf. Es lohnt sich. Immer. Glaubt mir!

Der Trauerprozess wird von den vielen Experten in vier Phasen unterteilt. Ich möchte mich an den Phasen nach Kast und Spiegel orientieren. Links zu beiden Experten findet ihr ganz unten.

Phase 1

Die Schock- und Nicht-Wahrhaben-Wollen-Phase. Für mich war es beides. Die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen, vor allem wenn sie so unverhofft kommt und einen absolut unvorbereitet trifft, ist unbegreiflich. Ich habe so oft gedacht: Das darf doch alles nicht wahr sein. Das sind Fake-News. Wer macht solche makaberen Scherze. Warum sollte er? Kneif mich bitte, ich will aus diesem Albtraum aufwachen. Das ist eine Lüge.

Besonders wenn so eine Nachricht ungeplant und unverhofft auf einen trifft, dauert diese Phase umso länger. Denn man hatte keine Zeit sich darauf vorzubereiten und sich zu verabschieden, wie beispielsweise bei einer Krankheit. Der Tod nach einer Krankheit ist in irgendeiner Art und Weise für die Hinterbleibenden dankbarer, denn man hat – mal mehr, mal weniger – Zeit, sich vorzubereiten. Man kann sich damit befassen und gezielt anfangen, sich mit dem Thema Tod auseinander zu setzen. Schön ist es genauso wenig wie das ungeplante Ende, aber irgendwo ist es doch angenehmer. Man hat zumindest schon mal darüber gesprochen, wurde damit konfrontiert und kann auf den Tag X hinarbeiten. Wenn jedoch ein Mensch von uns geht, der viel zu jung zum Sterben war und der zudem noch vollständig gesund (wirkte) war, dann ist es umso schlimmer. Bei älteren Menschen fällt es manchmal irgendwie leichter, das Ableben zu akzeptieren. Ältere Menschen haben ihr Leben gelebt, sie haben abgeschlossen und konnten ihren letzten Weg antreten. Oftmals kommen Krankheiten und körperliche oder geistige Schwäche dazu, sodass man oft sagen kann, es ist besser so. Dann ist der Tod meist eine Erlösung. Für alle. Doch bei Unfällen oder Suiziden ist das nicht so. Selten sagt man in solchen Fällen, dass es besser ist. Warum auch? Der Mensch hatte meist noch sein Leben vor sich. Umso schwieriger wird es dann natürlich, den Tod zu akzeptieren. Und umso mehr versucht man, diesen endgültigen Abschied von sich fernzuhalten. Man möchte es einfach nicht wahrhaben, dass es jetzt so sein soll. So geht das nicht im Leben. Man muss erst alt werden, bevor man stirbt. Nicht jung und mit seinem ganzen Leben vor sich. Das ist unnatürlich. Ebenso wie diese Arten zu sterben. Daher ist es auch so schlimm, die erste Phase zu überwinden.

Charakteristisch für die Schock-Phase ist, dass die Betroffenen oft nur schwer ansprechbar sind oder Anzeichen von Zusammenbrüchen zeigen, diese aber oft durch den Zusammenhalt mit anderen Betroffenen verbergen oder zumindest kontrollieren können. So war das bei mir auch. Ich war die ersten drei, vier Tage kaum ansprechbar, habe mich in meiner Wohnung verschanzt, mit niemandem geredet, keine Musik gehört, kein Social Media beachtet und einfach nur nichts gemacht. So wirklich kann ich mich nicht mal mehr daran erinnern, was ich gemacht habe. Nur funktionieren. Wie ein Zombie einkaufen, keine Miene verziehen, mit niemanden mehr reden als nötig. Und bloß keine Musik hören. Es könnte ja Linkin Park gespielt werden. Das hätte mich komplett zerrissen. Meinen ersten Zusammenbruch hatte ich am dritten Tag nach der Nachricht. Es war ein Wochenende, ich war allein und tat dann das, was am meisten weh tat. Ein Video von ihm ansehen. „One more light“ vom letzten Album. Das Lied ist seitdem ein rotes Tuch, es erinnert mich sofort an diese qualvollen Stunden nach der Nachricht und ich verbinde so viele Schmerzen und Trauer damit. Obwohl es ein wunderschönes Lied ist, wird es wohl für immer auf meiner Blacklist bleiben – eingeschlossen, verbannt und nie wieder gespielt. Falls ich es mal höre, dann verbinde ich es sofort wieder mit der einen Nachricht, die mein Leben in wenigen Augenblicken förmlich in Stücke zerrissen hat und mein Herz wie eine Bombe zersprengt hat – in tausende und abertausende Einzelteile.

Phase 2

Die zweite Phase ist die Phase der Emotionen und der Kontrolle. Ihr werdet euch jetzt wahrscheinlich fragen, warum Kontrolle. Habt ihr euch schon mal selbst beobachtet, wenn ihr während der Trauerbewältigung in der Öffentlichkeit unterwegs seid? Hattet ihr schon mal das Gefühl, einfach losweinen zu wollen oder eure Wut raus schreien zu wollen? Aber ihr habt es nicht getan, richtig? Genau das ist Kontrolle – Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung. Denn man möchte stark sein oder zumindest den Anschein erwecken. Man möchte nicht zeigen, wie nah man an einem seelischen Zusammenbruch ist. Deutlich wird das jedoch, wenn man sich stattdessen defensiv verhält. Die Kommunikation zu anderen wird einfacher im Sinne von eintönig, man hält Gespräche meist kurz und knapp. Nur solange mit jemanden reden, wie man seine Gedanken unter Kontrolle hat. Bloß nicht an die Trauer oder den Verlust denken, denn das könnte einen wieder in eine Lage bringen, die man nicht öffentlich rauslassen möchte. Die Kontrolle ist nichts anderes als die Verdrängung und Verleugnung der eigenen Trauer. Denn die wenigsten Menschen in unserem Umfeld können die Trauer verstehen und damit passend umgehen. Es gibt so wenige Menschen, die eine trauernde Person zur richtigen Zeit in den Arm nehmen. Ich gehöre da definitiv nicht dazu. Wenn jemand trauert und ich mein Beileid aussprechen muss, fällt mir das richtig schwer. Ich habe Angst, dass ich dann gerade verheilte Wunden wieder aufreiße oder getrocknete Tränen wieder mit neuen Tränen nähre. Das möchte doch keiner. Zumal ich es selbst oft genug erfahren musste, wie schwer es ist, wenn man gerade mal durchatmen möchte und es jemand nur gut meint und dir sein Beileid ausdrückt, du in dem Moment aber wieder in dein Loch zurückgestoßen wirst und alles wieder hoch kommt.

Wenn man dann allein ist oder in einer sicheren Umgebung, dann kommen die Emotionen mit voller Wucht. Wut, Trauer, Zorn, Angst, Freude. Glaubt mir, es ist erstaunlich erfrischend, jede einzelne Emotion rauszulassen. Was habe ich geheult wie ein Schlosshund. Ich hatte knallrote Augen und sah wirklich aus wie ein Zombie. Es tat so unfassbar weh, aber ich habe mich da durch gezwungen. Ich habe bewusst Bilder von ihm angeschaut, das eine oder andere Musikvideo geschaut, seine Liedtexte gelesen und es tat schrecklich weh. Mein Herz hat so sehr geschmerzt, weil ich realisieren musste, dass meine Medizin, die mich all die Jahre durch jede noch so verzwickte Lage begleitet hat, nun genau das war, was mich nicht heilen konnte. Und was diese verdammten Schmerzen überhaupt erst verursachte. Wenn man so viel mit Musik verbindet wie ich, dann ist das schon ein sehr großer Verlust. Musik ist für mich wie Luft. Tage, an denen ich meine Kopfhörer zu Hause vergesse, sind grauenhaft. Ich war also wütend, so wütend wie man nur auf jemanden wütend sein kann. Immer wieder habe ich mich gefragt, warum er so feige war und sein Leben einfach so beendet hat. Eine Antwort habe ich nie bekommen. Doch diese wütenden Momente waren nicht die einzigen. Ich war auch immer wieder glücklich. Glücklich über jede Minute, die ich mit Linkin Park verbracht habe. Ob es Lieder waren, die ich gehört habe oder Videos, die ich angeschaut habe. Oder die Konzerte, die ich besuchen durfte. Was mir niemand mehr nehmen kann, sind all diese Momente. Jeder einzelne wird für immer bei mir sein. Und darüber habe ich mich irgendwann wirklich gefreut. Man sollte sich immer eins klar machen: man durfte mit dieser Person zur gleichen Zeit auf diesem Planeten Zeit verbringen. Ob man dabei am selben Ort war oder ist, spielt keine Rolle. Man war zur selben Zeit am Leben und das haben wir allen noch kommenden Generationen voraus. Unsere Kinder und Enkelkinder werden fragen, wer das war. Dann kann man nur noch die Geschichten von den Personen erzählen. Doch wir haben mehr als die Geschichten. Für uns bleiben die gemeinsam erlebten Momente. Und dann kommt eine weitere Emotion, die einen vollkommen überwältigen kann: die Angst. Die hat bei mir sehr viel verschlimmert. Ich hatte Angst, plötzlich allein zu sein. Nicht, weil ich keine Familie oder Freunde habe, die mir beistehen. Ganz im Gegenteil, diese tollen Menschen in meinem Umfeld haben mir gerade in den letzten Monaten so viel Halt gegeben und alles getan, damit es mir wieder besser geht. Nein, ich hatte Angst, realisieren zu müssen, dass dieser Verlust für immer ist. Ich spürte eine sehr komische Leere in meinem Brustkorb. Ein beklemmendes Gefühl, dass da auf einmal nichts mehr ist. Er war weg. Und er hat seine Stimme, sein musikalisches Genie, seine Persönlichkeit, einfach alles mitgenommen. Und mich zurückgelassen. Diese Momente haben mich immer wieder eingeholt und ziemlich mitgenommen. Es waren auch Angstzustände, die mich in den einen oder anderen Zusammenbruch getrieben haben. Immer wieder bin ich zusammengebrochen, habe geweint und wollte und konnte nichts um mich herum wahrnehmen. Doch Gott sei Dank bin ich selbst mental stark genug, dass ich diese Angstzustände kontrollieren konnte und sie sich in Wut und Zorn umgewandelt haben. Ich war so wütend, so verdammt sauer auf den Mistkerl, das könnt ihr euch nicht vorstellen. Das wichtigste, was ich euch dabei aber mitgeben kann und möchte ist, dass ihr diese Wut und den Zorn rauslassen sollt. Seid wütend. Seid zornig. Schreit es heraus, flucht, macht Dinge kaputt (Gemüse eignet sich sehr gut, wenn man es klein schneiden muss), fresst es aber verdammt nochmal nicht in euch hinein. Nur wer die Wut und den Zorn zulässt, der ist auch stark genug, nicht an der Angst und der Trauer kaputt zu gehen. Lasst nicht zu, dass euch Depressionen einholen, denn das sind sie nicht wert. Trauer ist gut, man braucht sie im Leben, aber sie soll niemals euren Alltag kontrollieren.

Unsere heutige Gesellschaft macht es uns besonders schwer, diese Phase zu überwinden. Denn wer sieht schon gern trauernde Personen? Es ist nicht mehr üblich, in der Öffentlichkeit zu trauern oder gar Emotionen zu zeigen. Vielmehr muss man eben die Kontrolle und Selbstbeherrschung wahren und Stärke zeigen. Ein Vorbild sein für Andere. Ernsthaft? So ein Schwachsinn. Je mehr man sich selbst kontrolliert und dabei seine Emotionen unterbindet, desto schwieriger fällt es einem doch erst, überhaupt die Trauer zu akzeptieren und diese zu verarbeiten. Nur wer ehrlich trauert, kann Phase zwei überwinden. Also mein Tipp an euch: lasst es raus, lasst es zu. Ihr seid nicht allein. Jeder Mensch trauert irgendwann mal. Seid mutig, holt euch Unterstützung. Es tut so gut und ihr fühlt euch danach so viel besser.

Phase 3

Suchen, finden, Hilfslosigkeit. Ich habe diese Phase als „Back to the Roots“ bezeichnet. Zurück zu seinen Wurzeln finden, alte Verhaltensmuster auffrischen und wiederfinden. Oft wird diese Phase auch als Hilfslosigkeit gesehen. So langsam realisiert der Trauernde, dass etwas fehlt. Der Verlust wird deutlich und man versteht langsam aber sicher, dass er für immer bleiben wird. Es fühlt sich unwirklich an.

Ich habe diese Phase gar nicht so wirklich wahrgenommen. Vielleicht lag das auch daran, dass ich Phase zwei umso intensiver gelebt und erlebt habe. In Phase zwei war ich einfach nur wütend und habe alles, was mit Chester zu tun hatte, verdrängt. Ich wollte ihn aus meinem Leben verbannen, weil mich jeder Gedanke an ihn verletzt hat. Er hatte mich verletzt und das auf eine so unberechenbare Art und Weise, dass ich nicht nur zornig auf ihn war, sondern ihn teilweise gehasst habe. Heute weiß ich, dass es nicht er als Person war, dem mein Hass galt, sondern viel mehr die Leere, die er hinterlassen hat und auch das Loch, in das mich sein Tod gestürzt hat. Ich habe alle Emotionen, die mit ihm zu tun hatten, verdrängt. Äußerlich habe ich alles geleugnet. Beides hat dazu geführt, dass ich ein musikalisches Wrack war. Für jemanden, der seit Jahren nichts anderes macht als Musik zu hören, bei allem was ich mache, war es in den letzten Monaten verdammt ruhig. Klar habe ich Musik gehört, aber bei Weitem nicht so exzessiv wie zu Linkin Park Zeiten. Ich habe tatsächlich in der Küche gestanden und gekocht oder den Abwasch gemacht und es war ruhig. Dann gab es auch wieder Tage, an denen habe ich die Kopfhörer nicht aus den Ohren gekriegt. Einfach weil mich die Ruhe, wenn mal keine Musik lief, wahnsinnig gemacht hat. Wenn ich heute darüber nachdenke, was ich für Musik gehört habe, war das witziger Weise sehr emotional. Und vor allem unglaublich impulsiv. Wo ich sonst die Linkin Park Lieder anhand meiner Stimmung ausgewählt habe, fiel nun die Wahl auf ganze Genre. Mal Hip Hop oder Deutschrap, mal Pop, Dance oder House. Es war ziemlich wild und extrem unberechenbar. Und doch kam immer wieder eines durch – die Liebe zum Rock und Metal. Mal mehr, mal weniger, aber fette Gitarrensounds gab es irgendwie immer wieder. Und immer häufiger. Vielleicht habe ich deshalb meine Hilflosigkeit auch gar nicht so bewusst wahrgenommen? Wirklich gemerkt habe ich es selten. Sicher hat etwas Entscheidendes in meinem Leben gefehlt, aber ich konnte es irgendwie immer kompensieren. Dachte ich zumindest. Auch das weiß ich nun besser, denn jetzt weiß ich, dass dieses sprunghafte Festhalten und Klammern an verschiedenen Musikstilen und der stete Wechsel meine Art und Weise war, die Hilflosigkeit selbst zu kompensieren. Und letztlich zu überwinden. Ich bin zurück zu meinen Wurzeln gegangen und habe versucht, meine Trauer mit Musik zu überwinden. Andere versuchen das mit der Hilfe von Alkohol oder Medikamenten. Meine Wahl der Überwindung finde ich jedoch besser. Und gesünder.

Dass ich etwas „Neues“ gesucht habe, ist mir erst später bewusst geworden. Erst in dem Moment, als ich das Neue auch gefunden hatte. Ich habe tatsächlich nach dem Verlust von Chester und damit auch nach dem Verlust seiner Musik eine neue Band, eine neue Liebe gesucht. Mittlerweile habe ich sie gefunden. Es ist erstaunlich, was Musik mit einem machen kann. Mich hat sie erst in diese furchtbare Lage gebracht. Ebenso hat sie mich da aber auch wieder raus geholt. Und seit ich eine neue Band in mein Leben gelassen habe, ist mir einiges klar geworden. Seitdem beschäftige ich mich viel intensiver mit dem Erlebten der letzten Monate. Diese Band war überhaupt der Anstoß für diesen Beitrag. Denn dank ihnen habe ich gelernt, dass es okay ist, loszulassen und neu anzufangen. Für mich war die dritte Phase somit auch das Finden meines Seelenfriedens. Es ist okay, wenn man loslässt. Loslassen heißt für mich nicht Vergessen. Ganz im Gegenteil. Es ist wie Zulassen, das Herz für etwas Neues zu öffnen. Für mich ist es nun ein Teil meines Lebens. Den Verlust werde ich für immer mit mir herumtragen. Mal wird er mehr schmerzen, mal wird es richtig weh tun, aber die meiste Zeit versuche ich, an die schönen Momente zu denken, die mir diese Zeit gelassen hat. Denn trotz der Schmerzen, der Wut und auch der Angst danach, war es eine wunderschöne Zeit, die ich nie missen möchte. Ich durfte sie erleben, sie durchleben und sie hat mich auf eine tolle Art und Weise geprägt. Und nun tritt sie den Weg über die imaginäre Linie an. Den Weg in mein Herz, denn dort wird meine Liebe zu Chester und Linkin Park für immer bleiben. Egal was die Zukunft noch bringt. Das kann und wird mir niemand nehmen.

Mittlerweile versuche ich, die Hinweise und die Zeichen, die mir Chester schickt, bewusst wahrzunehmen. Als ich mir mein Tattoo habe stechen lassen, hat meine Tätowierererin eine Linkin Park Playlist angemacht. Dort kamen neben zwei Songs von LP hauptsächlich Bands wie Rise Against und Stone Sour, die ich selbst gern höre. Das tat gut und ich konnte die Zeit im Studio echt genießen. Als wir fertig waren, sagte sie: „Du hast es geschafft.“ Gleichzeitig begann ein Lied, was mich sofort von den Beinen geholt hat: One More Light. Es hätte die ganze Zeit gespielt werden können, aber ausgerechnet, als ich mich vor den Spiegel stelle und das Kunstwerk auf meiner Schulter bestaune, kommt dieses eine Lied, was ich nicht hören wollte. War es ein Zeichen? War es Chester, der mir damit wieder einmal gezeigt hat, dass er bei mir ist? Dass ich nicht allein bin? Oder war es Chester, der in der Samstag Nacht bei Rock am Ring bei mir war und mir Avenged Sevenfold gezeigt hat? Der mir die Leiter gereicht hat, als sie „Wish you were here“ spielten, damit ich zu diesem Lied aus meinem schwarzen Loch klettern konnte? Ich hatte einige Momente, vor allem in den letzten Wochen, in denen ich dachte, das kann nur von Chester sein. Es sind kleine Momente, wenige Sekunden, die mich immer wieder und vor allem immer öfter wieder Lächeln lassen. Und das aus tiefstem Herzen. Diese Schwere, diese Leere und das Dunkle in meinem Herzen löst sich auf. Die vielen, Millionen noch so kleinen Stücke meines Herzens setzen sich wieder zusammen, Stück für Stück. Es wird noch sehr lange dauern, bis ich diesen Verlust endgültig überwunden habe, aber ich bin auf einem guten Weg. Und seitdem ich mich bewusst damit auseinander setze, weiß ich auch, dass ich endlich in der vierten und letzten Phase angekommen bin.

Phase 4

Anpassung und Neuanfang. Am Anfang der letzten Phase steht ein entscheidender Punkt: die Akzeptanz. Man ist mittlerweile soweit, dass man den Verlust akzeptiert. Auch das heißt in keinem Fall, dass man vergisst. Man beginnt vielmehr, sein Leben neu zu orientieren und es um den Verlust herum neu zu gestalten. Es wird möglich, den Verlust zu ertragen und offen damit umzugehen. Auch wenn es schwer fällt, sich an etwas Neues zu binden, muss man das Risiko irgendwann wieder eingehen, etwas Neues an sich heranzulassen. Natürlich kann einem ein weiterer Verlust erneut begegnen, aber so spielt das Leben leider. Man darf sich nie sicher sein. Wie heißt es so schön:

Life is what happens while you are busy making other plans.

Leben ist, was passiert, während man damit beschäftigt ist, andere Pläne zu machen. Für mich kam irgendwann der Tag, an dem ich wirklich akzeptiert habe, dass Chester tot ist. Endgültig, für immer, unumkehrbar. Dieses endgültig hat mir lange zu schaffen gemacht, das gebe ich zu. Sehr oft habe ich gehofft, dass doch alles nur ein Traum ist, ein sehr mieser, schrecklicher Albtraum. Doch irgendwann kommt dann die Realität und man muss begreifen, dass es weitergeht. Mit oder ohne eine geliebte Person. Man darf das eigene Leben nicht außer Acht lassen, denn dafür gibt es zu viele schöne Dinge im Leben, die es so wahnsinnig lebenswert machen. Auch wenn der Verlust einer geliebten Person erstmal alles in Schwarz taucht, lohnt sich jeder Tag, wieder die Augen zu öffnen und nach vorn zu schauen.

Ich kann euch nicht sagen, wann ihr bereit seid, zu akzeptieren. Es gibt kein Pauschalrezept für die Trauerbewältigung. Dieser Prozess ist genauso individuell wie der Mensch selbst. Ob ihr einen Tag lang in der Phase eins seid oder eine Woche, weiß niemand. Sicherlich gibt es Richtwerte, aber danach solltet ihr in diesem Prozess niemals gehen. Seid einfach ihr selbst. Euer Körper, euer Herz, eure Emotionen und eure Persönlichkeit werden euch den Weg weisen und irgendwann merkt ihr von ganz allein, dass ihr die vierte Phase erreicht habt. Eins kann ich euch aber mit auf den Weg geben: es lohnt sich zu warten und es lohnt sich zu kämpfen. Der Weg durch die Trauer ist einer der schwersten, er ist unberechenbar, er ist voller Stimmungsschwankungen und furchtbar schmerzhaft. Aber wenn ihr den schlimmsten Punkt überwunden habt, werdet ihr sehen, wie wunderschön die Welt mit all den Erinnerungen und persönlichen Momenten sein kann. Gebt nicht auf. Gebt euch nicht auf. Gebt die Liebsten um euch herum nicht auf. Es lohnt sich immer. Sei die Welt auch noch so dunkel. Es geht immer irgendwie weiter. Der Weg ist da, ihr müsst ihn nur finden.

Quellen:

Die Phasen der Trauer:  Die Theorien rund um den Trauerprozess von  Verena Kast lehnen sich stark an das Modell der Sterbephasen von Kübler-Ross an.

Der systematische Theologe Yorick Spiegel beschrieb in seiner Habilitationsschrift von 1972 ebenfalls vier Trauerphasen; sie unterscheiden sich jedoch von den Phasen, wie sie Kast beschreibt.