Virtuelle Anonymität

Zu meinem heutigen Post hat mich ein Artikel inspiriert, der bei mir beim Lesen für einige Lacher gesorgt hat, obwohl es um ein Thema geht, was nicht lustig ist. Gepostet wurde er unter einem Facebook-Beitrag, in dem es darum ging, wie unsachlich, frech und beleidigend manche User auf Facebook & Co. heutzutage diskutieren.

So wird häufig aus einer sachlichen Diskussion ein Wortgefecht extremsten Ausmaßes. Ohne Rücksicht auf Verluste. Mir ist schon oft aufgefallen, wie schnell sich Leute einmischen, die in manchen Fällen nur mit gefährlichem Halbwissen glänzen können.

Besonders bestürzt war ich bei Beiträgen zu den Stürzen der Profireiter Benjamin Winter (Vielseitigkeit) und Katrin Eckermann (Springreiten). Leider hat Benjamin seinen letzten Sturz durch Verkettung unglücklicher Zufälle nicht überlebt. Das ist an sich eigentlich schon schlimm genug und bedarf keiner weiteren Worte. Trotzdem haben sich die sogenannten VAK – Virtuelle-Alles-Könner – umgehend zu Wort gemeldet und mussten alles und jeden durch den Kakao ziehen. Wie furchtbar gefährlich der Vielseitigskeitssport ist, was für eine Tierquälerei diese Reiter veranstalten bis hin zu alten, eingestaubten Themen á la die Pferde werden ja nur als Sportgeräte genutzt. All diese Kommentare haben mich echt sprachlos gemacht. Jeder hat natürlich das Recht auf seine eigene Meinung.  Aber man muss auch akzeptieren, dass es andere Meinungen dazu gibt. Wer denkt, es wäre viel ungefährlicher ohne Helm, nur mit Halsring in den Wald zu reiten, dann hey, do it so. Ich finde es genauso gefährlich wie Vielseitigkeitsprüfungen oder Springprüfungen der schweren Klasse. Nur dass wohl die meisten Profireiter Routine und Umgang mit verschiedenen, teilweise auch heiklen Situationen mitbringen. Dass es nun zu diesem tödlichen Sturz kam, konnte keiner vorhersehen. Ben war sich des Risikos bewusst, dass dieser Sport mit sich bringt. Er hat den Sport und seine Pferde geliebt. Egal, wie man das Blatt dreht und wendet, man kann es leider nicht mehr rückgängig machen. Anstatt dann in solch einer Situation einfach nichts zu sagen oder eben „nur“ sein Beileid zu bekunden, wird gnadenlos losgesenft, ohne Wenn und Aber.

Ein Déjà-vu ereilte mich dann beim Sturz der Springreiterin Katrin Eckermann. Zur Vorgeschichte: Katrin hatte zu Beginn des Turniers in Aachen einen Sturz am Wassergraben. 2 Tage später ist sie dasselbe Pferd erneut in einer Prüfung mit Wassergraben geritten. Der Hengst hat erneut am Wassergraben Unsicherheit gezeigt, beide sind gestürzt. Die Reiterin ist mit einem Schlüsselbeinbruch davon gekommen, ihr Pferd hatte sich Prellungen im Bein zugezogen. Ebenfalls startete sofort ein Shitstorm bei Facebook. Und wieder muss man sagen: sie ist eine Profireiterin. Sie wusste, was sie tat, sie hat eine Menge erfahrener Pferdeleute hinter sich stehen und alle waren sich einig. Was man im Nachhinein denkt, ist eine andere Sache. Bereuen kann man immer etwas, aber es macht das Geschehene leider nicht mehr rückgängig. Und doch waren die Finger wieder schneller als der Verstand. „Wie kann sie nur?“ „Wieso ist sie nochmal in einer Prüfung mit Wassergraben angetreten?“ „Warum hat ihr keiner davon abgeraten?“ „Die hat doch keine Ahnung.“ Wie mich diese Kommentare nerven. Anstatt zu hoffen, dass beide wieder fit werden – was ja zu dem Zeitpunkt kurz nach dem Sturz noch keiner sagen konnte – wurde alles und jeder aufs Schärfste kritisiert. Und da wurde der Ton nicht immer so getroffen, wie es angemessen gewesen wäre. Warum kann man nicht einfach mal ruhig sein, auch wenn es einem nicht in den Kram passt?

Angesprochen auf den Sturz wurde Otto Becker, Bundestrainer der Springreiter, am vergangenen Wochenende noch einmal interviewt. Er wiederholte nochmals, dass er das Pferd selbst ein Jahr bei sich im Stall stehen hatte und sich nicht erklären konnte, warum es erneut zu einem Sturz kam. Der Hengst sei ein mutiges Pferd, welches noch nie zuvor Probleme am Wasser hatte. Daher stand dem Start in besagter Prüfung nichts im Weg. Im Nachhinein hätte er sicher anders entschieden, aber das bringt doch keinem etwas. Passiert ist passiert. Sollte man denken.

Aber nein, im Internet herrscht ja allgemeine Anonymität. Und diese scheint so manchem VAK wahrlich Flügel zu verleihen, wenn er wieder einmal sein Gedankengut mit der Allgemeinheit teilen möchte. Schließlich ist beinah jeder in der Lage, sich zu verstellen oder sein wahres Ich zu verbergen. Warum auch nicht? Es gibt ja auf fast jeder Plattform die Möglichkeit, sich anonyme Accounts zu erstellen. Authentifizierung? Wahrheitsgemäße Angaben? Fehlanzeige! Manchmal ist man ja auch froh drüber. So habe ich mir zum Beispiel zu Beginn dieses Blogs überlegt, inwieweit ich mein Privatleben hier veröffentliche. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, alle Angaben zu meiner Person wahrheitsgemäß zu beantworten, jedoch von mir gesetzte Grenzen nicht zu überschreiten. Hier stört es ja auch keinen. Ihr wisst, wie ich heiße und meine Meinung stelle ich auch klar. Doch gibt es immer wieder Anreize für Personen in den verschiedenen Kommunikationsplattformen dieser Welt, wie wilde Furien auf einzelne Statements oder Meinungen einzudreschen ohne auch nur ansatzweise drüber nachzudenken, was man damit auslösen könnte. Das am anderen Ende stets „echte“ Menschen mit echten Gefühlen sitzen, scheinen die meisten zu vergessen. Jeder hat eine Schmerzgrenze und wenn die erst einmal überschritten ist, driften harmlos begonnene Gespräche leider viel zu oft in sinnfreie Diskussionen ab und verlieren das eigentliche Thema völlig aus den Augen. Begründen kann man das durch den fehlenden Bezug zu seinem Gegenüber. In einer öffentlichen Diskussion kann doch niemand genau sagen, mit wem er da am anderen Ende gerade diskutiert. Auch wenn man weiß, dass derjenige Anne oder Hans heißt. Man weiß nicht, ob Anne oder Hans versteht, auf was man hinaus will. Ich möchte damit nicht sagen, dass keiner mehr seine Meinung äußern sollte, doch sollte man zumindest erst nachdenken und dann schreiben. Bleibt euch doch einfach treu, ob nun im wahren Leben oder in der virtuellen Welt. Redet mit „fremden“ Personen auf Facebook, als würden sie vor euch stehen. Würdet ihr sie dann genauso frech anfeinden? Wenn mehr Leute darüber nachdenken würden, könnte sicher das eine oder andere Streitgespräch im Keim erstickt werden und die Diskussion von Anfang bis Ende in einem niveauvollen Rahmen stattfinden. Die Anonymität kann man nicht abschaffen, aber man kann versuchen, in Ruhe mit den anderen zu kommunizieren ohne aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. Und wenn doch jemand einen unbedachten Kommentar in die Welt wirft, dann ignoriert es. Wie schon Die Ärzte gesungen haben: lasst die Leute reden… 😉

Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal an Dressur-Studien für den tollen Artikel – ich liebe diesen Sarkasmus – und an Damiana (Beitrag von RPZ Diamiro) für die Inspiration zu diesem Artikel. 🙂

Liebe Grüße,
eure Steffi.

2 Kommentare bei „Virtuelle Anonymität“

  1. Vielen Dank für das Lob, Anja. Freut mich, dass ich nicht allein mit meiner Meinung dastehe.

  2. Toller Beitrag liebe Steffi und vielen Dank dafür.
    Du spricht genau das an, was ich so oft denke 🙂

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