Two lost souls swimming in a fish bowl – year after year

Heute ist er also da. Der wohl schwärzeste Tag dieses Jahres. Und das wird er bleiben. Jedes Jahr aufs Neue. Heute jährt sich Chester’s Todestag zum ersten Mal. Wir haben es nun geschafft. Ein Jahr ohne Chester Bennington. Ein Jahr ohne meinen Jugendhelden. Ein Jahr ohne meine große musikalische Liebe. Ein Jahr ohne mein Lebenselixier. Den heutigen Tag möchte ich trotz der wieder aufkeimenden Trauer nutzen und das vergangene Jahr Revue passieren lassen. Zurück schauen auf sehr traurige, aber auch sehr schöne Momente. Ich möchte mich im Voraus schon einmal dafür entschuldigen, falls das jetzt wieder so ein ätzend langer Beitrag wird, in dem es fast ausschließlich um Chester geht. Aber dieser Blog ist letztlich genau das, was mir im letzten Jahr sehr geholfen hat – ein Kanal, meine Trauer zu verarbeiten, weil ich darüber reden kann. Zwar habe ich viele, unglaublich tolle Menschen um mich herum, mit denen ich meine Gedanken und meine Gefühle teilen kann, jedoch ist es nochmal etwas anderes, wenn man vor dem Rechner sitzt und diese Zeilen schreibt, nichts mehr sieht, weil einem die Tränen über das Gesicht laufen und man sie einfach laufen lassen kann. Ich kann meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Und manchmal brauche ich das. Allein sein, meine Gedanken aufschreiben und dabei verarbeiten. Das habe ich das letzte Jahr gemacht: verarbeitet. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Jeder, der mich auf dieser Reise begleitet hat, soll wissen, wie unglaublich dankbar ich euch bin. Ohne euch hätte ich das nicht geschafft. DANKE!

Beginnen wir mit dem Tag X. Der Tag, der alles verändern sollte. Ich kann mich noch daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich saß mit meiner heutigen Mitbewohnerin auf meinem Sofa. Sie hatte sich als Mitbewohnerin „beworben“ und ich wusste bereits nach 5 Minuten, dass sie die Richtige ist. Es wundert wahrscheinlich keinen, dass sie Musikerin ist? 😀 Was für ein Wink des Schicksals. Wenn auch erstmal der Zaunpfahl kam. Und das mit voller Wucht. Wir saßen also und erzählten über uns und natürlich auch über die Musik. Ich erzählte ihr noch, dass ich ein riesiger Linkin Park Fan sei, aber dass es noch dauern würde, das neue Album so richtig zu akzeptieren. Es war mal wieder anders, wie jedes neue Album. Dementsprechend hat es gedauert, es zu lieben. Wir sprachen auch über so vieles anderes. Dann klingelte mein Telefon, meine Mum rief an. Ich sagte ihr kurz und bündig, dass ich noch Besuch hätte und sie meinte nur „Ich wollte, dass du es von mir erfährst.“ Ich dachte sofort, es wäre etwas mit ihr, was sie aber sofort verneinte. Wir legten auf. Keine zwei Minuten später klingelte mein Handy. Eine Push-Nachricht von einer Nachrichten-App. Warum habe ich draufgeguckt? Ich weiß es nicht mehr. Die ganze Zeit während des Gesprächs lag mein Handy neben mir, ohne dass ich es beachtet habe. Doch irgendetwas zwang mich drauf zu schauen. Und da stand es.

Chester Bennington ist tot.

Auch ein Jahr später noch tut diese eine Zeile so unendlich weh. Man könnte meinen, der Schmerz wird besser. Aber wenn man sich dann wieder damit konfrontiert, dann kommt er wieder und er reißt dich immer und immer wieder in Stücke. Es tut so weh.

Ich las die Zeile vor, denn meine Mitbewohnerin guckte mich ganz fragend an. Ich glaube ich lachte sogar. Ein Irrglaube? Eine Fake-News? So ein Quatsch. Warum sollten die das schreiben? Ich öffnete die App auf meinem Handy, doch da stand nichts weiter. Ich war wie gelähmt. Unser Gespräch war mit einem Mal zu Ende. Ich konnte nicht klar denken, öffnete Google und versuchte, mehr zu erfahren. Doch nichts. Es war einfach nichts zu finden. Ich erstarrte und wusste nicht, was ich tun sollte. Erneut der Versuch, etwas herauszufinden. Und langsam überschlugen sich die Nachrichten. Alle berichteten davon. Aber keine Details. Nur dass er tot sei. Ich weiß nicht mehr, was dann genau passierte. Ich saß einfach nur da und starrte an meine Wand. Und dann kam der Tweet von Mike, der es bestätigte.

Shocked and heartbroken, but it’s true.

Der Tweet ging noch weiter, doch es brauchte nicht mehr als diese sechs Worte. Eigentlich nur zwei. It’s true. Es ist wahr. Und dann brach eine Welt in mir zusammen. Ich konnte nicht anders und fing an zu weinen. Ich guckte meine Mitbewohnerin an und fragte, was ich jetzt machen sollte? Und diese bis vor wenigen Stunden noch völlig Fremde tat das einzig richtige und nahm mich in den Arm. Ich war nicht allein in diesem Moment, auch wenn sie sich glaube nicht mal ansatzweise vorstellen konnte, was da gerade in mir zerbrach. Es war mein Leben. Mit einer einzigen Nachricht in tausend und abertausend Stücke zerbrochen. Unwiderruflich.

Ich weiß noch, dass ich bitterlich geweint habe, als ich danach mit meiner Mama telefoniert habe. Sie war glaube selten so verzweifelt. Aber sie konnte mir nicht helfen. Das konnte in diesem Moment niemand. Ich war allein. Egal, wer alles um mich herum war. Niemand konnte mich in diesen Minuten aus diesem Loch rausziehen. Irgendwann ging ich ins Bett, immer noch halb in Trance, halb in Schockstarre. Am nächsten Morgen wachte ich auf und ging zur Arbeit. Absolut ferngesteuert. Ich nahm kaum etwas um mich herum wahr. Ich funktionierte einfach nur und war darauf fokussiert, nicht zu weinen, was sehr schwer war. In der Bahn, im Radio, überall erzählten und schrieben sie es. Ich konnte ihm nicht entfliehen, ich war Chester hilflos ausgeliefert. Das erste Mal in meinem Leben wollte ich nichts von ihm wissen. Kaum das ich zu Hause war liefen die Tränen wieder wie ein Bach. Ich weinte mich in den Schlaf und wachte am nächsten Morgen mit der logischen Konsequenz auf: verquollene Augen und Kopfschmerzen. Das Wochenende schloss ich mich zu Hause ein, wollte nicht telefonieren, wollte mit niemandem reden. Ich konnte es nicht. Heute weiß ich nicht mal mehr, was ich gemacht habe. Außer dass ich kurz im Drogeriemarkt war, weil ich dringend etwas brauchte und ausgerechnet „Battle Symphony“ kam. Wirklich jetzt, Chester? Das ist deine Art, mir zu sagen, dass du noch da bist? Danke auch.

Danach weiß ich nicht mehr viel. Es folgte ein Memorial in Hamburg, zu dem ich ging. Es war furchtbar. Kaum stand ich an der Stelle, wo man seine mitgebrachten Fotos und Briefe niederlegen konnte, fing ich an zu heulen – mal wieder. Und ich habe erst aufgehört, als ich zum Bus lief. Bis dahin habe ich einfach nur zugehört und geheult. Aber ich war nicht allein. Es war eine sehr schöne Gedenkfeier. Doch brachte sie nicht den gewünschten Erfolg. Statt endlich wieder etwas Luft zum Atmen zu bekommen, wurde es irgendwie nur schlimmer. Ich rannte vor ihm weg. Ich verbannte Linkin Park komplett aus meinem Leben. Es tat so unendlich weh, seine Stimme zu hören. Videos von ihm konnte ich wochenlang nicht sehen. Und wenn ich es doch tat, war es wohl sowas wie Masochismus. Bewusst mit etwas konfrontieren, was dich definitiv verletzen und zerstören wird. Es dauerte genau vier Monate, bis ich das erste Mal wieder ein Lied von Linkin Park hören konnte und wollte. Und es war das erste Lied, welches meine Liebe zu ihnen entflammt hatte: One Step Closer. Ich hörte „Hybrid Theory“ und ließ all meine Wut raus. Ich war wütend, verdammt wütend. Phase zwei der Trauerbewältigung.

Manch einer wird sich fragen, wieso man von dem Tod eines Menschen, den man nicht mal persönlich gekannt hat, so sehr betroffen sein kann. Ich kann es euch nicht erklären. Für mich ist Chester kein Fremder gewesen. Er war so viele Jahre mein Freund, meine Liebe, mein Seelenverwandter, mein Partner in Crime. Musik ist für mich das aller Wichtigste auf der Welt. Gott bewahre, dass ich von meinen Eltern nicht das Talent zum Musik machen in die Wiege gelegt bekommen habe. Aber dafür habe ich die Leidenschaft abbekommen, immer und überall Musik hören zu müssen. Ohne geht es nicht.  Und es waren eben Linkin Park, die mich in so vielen Momenten meines Lebens begleitet haben. Ich habe während meiner Schulzeit mit ihrer Musik gelernt und mich mit ihnen auf mein Abi vorbereitet. Während meines Studiums lief Linkin Park. Wenn es mir gut ging, hörte ich sie. Ging es mir schlecht, liefen sie umso lauter. Als sich meine Eltern trennten, half mir Chester mit meinen Gefühlen umzugehen. Als meine Oma starb, weinte ich mich mit Linkin Park in den Schlaf. Es gibt für jede Situation ein Lied und ich könnte so viele noch aufzählen. Ich war vielleicht sowas wie ein moderner Groupie. Poster an der Wand, Zeitungsartikel aus der Bravo fein säuberlich in Klarsichtfolien im Ordner einsortiert. Was habe ich mir die Nächte mit Youtube Videos von den Jungs on Tour um die Ohren geschlagen. Aber nie kreischend auf einem Konzert gestanden. Okay, ich habe geschrien aber eigentlich eher vor Freude und weil sie es verdient hatten. 😉 Es ist schwer jemandem zu erklären, wie sehr man mit fremden Menschen so verbunden sein kann, wenn es derjenige nicht nachvollziehen kann. Für mich ist er nie ein Fremder gewesen, sondern immer ein Freund. Durch seine einzigartige Art mit Menschen umzugehen, seine offene Art auf seine Fans zu zu gehen und trotz der unzähligen Auftritte und Menschen, die er täglich getroffen hat, sich immer wieder an Kleinigkeiten zu erinnern, war er immer so nah. Man hatte nie das Gefühl, dass er sich als jemand besonderes oder gar besseres fühlt, denn das war er für sich nie. Er war immer mittendrin und hat es geliebt mitten zwischen seinen Fans zu stehen und mit ihnen gemeinsam zu singen. Seine Dankbarkeit hat man immer gespürt. Und dass er eben nicht nur einer dieser Rockstars war und ihn fast alle eben als diesen liebenswerten, immer hilfsbereiten und selbstlosen Menschen wahrgenommen haben, habe ich erst so richtig realisiert, als von seinem Tod berichtet wurde. Die Zeitungen haben viel ausführlicher und unerträglich lange über ihn, sein Leben, natürlich seine Frau und seine Kinder und vor allem auch seine Krankheit berichtet. Es ist ein Ruck durch die Welt gegangen. Auf einmal wurde über Depressionen berichtet. Es wurde über eine Krankheit berichtet. Depression ist eine Krankheit und das sollte jeder akzeptieren. Immer konnte man Berichte lesen, auch wenn sich vieles wiederholte, aber jeder hat irgendwie begriffen, dass da nicht nur irgendein Rockstar an einer Überdosis gestorben ist, sondern das Chester doch etwas besonderes war – jemand Besonderes. Er war Chester Bennington. Er hat Menschen mit seiner Musik und seiner Liebe bewegt. Über Generationen, von Jung bis Alt. Selten hat eine Band so sehr polarisiert und so viele verschiedene Menschen zusammengebracht. Es gibt eben nicht diesen einen Typ Linkin Park Fan, sondern alle sind unterschiedlich und individuell. Die einen, die Hybrid Theory gerockt haben, die anderen, die A Thousand Suns geliebt haben und die, die One More Light vergöttert haben. Alle haben eins gemeinsam. Die Liebe zu einer der großartigsten und einflussreichsten Rockbands dieser Welt. Ich bin glücklich, dass ich in dieser Zeit aufgewachsen bin. Denn ich kann auch in vielen Jahren noch erzählen, dass ich mit Linkin Park groß geworden bin und ich erleben durfte, wie sie von jungen, wilden Jungs zu gestandenen, hervorragenden Musikern herangewachsen sind. Ich war dabei. Und darauf bin ich stolz.

Ein Jahr später fällt es mir tatsächlich leichter darüber zu reden. Natürlich habe ich nach wie vor schlechte oder besonders emotionale Tage. Und immer noch habe ich Linkin Park fast vollständig von meiner Playlist verbannt. Warum werdet ihr euch vielleicht fragen. Dieses Warum habe ich mir so oft gestellt. Aber wie bereits erklärt, tut es zu sehr weh, seine Stimme zu hören. Diesen Teil der Trauer habe ich auch heute noch nicht überwunden. Der Tag wird kommen, da werden sie wieder hoch und runter laufen. Solange sind sie eben „nur“ in meinem Herzen.

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit zwei positiven Geschichten. Wie heißt es so schön: Wenn etwas von dieser Welt geht, kommt gleichzeitig etwas Neues. Ich habe zwar mit Chester einen ganz besonderen Menschen in meinem Leben verloren, aber dafür hat er mir jemanden geschickt, der nun auf mich aufpasst. Es ist durch diese traurige Geschichte eine so wunderbare Freundschaft entstanden, die nicht zufälliger hätte entstehen können. Aber genau diese Geschichten sind es, die das Leben trotz seiner negativen Kapriolen doch so lebenswert machen. Was wäre ich nur ohne dich gewesen in den letzen vier Monaten? Danke, dass du in mein Leben getreten bist und wir nun gemeinsam so verrückt sein können. Ich freue mich auf jedes weitere Abenteuer mit dir. ♥

Und zum Schluss möchte ich euch noch etwas zeigen, was ich sehr lange und sehr genau geplant habe und was letztlich doch in wenigen Minuten entstanden ist. Ich habe mir ein Linkin Park Tattoo stechen lassen. Und ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich so etwas verrücktes gemacht habe. Denn verrückt ist das allemal. Aber es ist wunderschön geworden und genau das, was ich mir vorgestellt habe. Es bedeutet mir so unglaublich viel und nun kann ich endlich sagen, dass ich Chester und Linkin Park für immer bei mir tragen werde. Egal welche Wege ich künftig gehen werde. Er sitzt immer wortwörtlich auf meiner Schulter und begleitet mich auf all meinen Wegen. Und mögen sie noch so steinig sein. Chester, ich weiß, dass du bei mir warst. One more light, nicht wahr? ♥

Wir werden für immer zusammen sein. Jahr für Jahr. Und eines Tages werden wir wieder gemeinsam rocken.

Two lost souls swimming in a fish bowl – year after year. Forever! ♥

https://youtu.be/2m3c5SXHghg

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